Am Ende des ersten Weltkriegs konnte eine kleine Landgemeinde keine großen Pläne schmieden.
Das Wirtschaftsleben war gestört, und als am Vormittag des 22.Dezember 1918, an einem Sonntag, sich eine französische Grenzwache im Rathaussaal niederließ und jeglichen Verkehr mit dem unbesetzten Gebiet verhinderte, war selbst eine geordnete Gemeindeverwaltung nicht mehr möglich.
Bürgermeister Strohauer musste im nächsten Jahr nach schweren Kriegsjahren wegen Krankheit in den Ruhestand treten.
Als sein Nachfolger, Bürgermeister Heyl, im Dezember 1919 vom Beigeordneten Krug die Bürgermeistereigeschäfte übernahm, fand er im Rathaus viele unerledigte Aktenstücke, keine Schreibhilfe und keine Schreibmaschine vor. Das Büro des Gemeinderechners befand sich in dessen Wohnung. Ein arbeitwilliger Gemeinderat aus drei Parteien, in zwei Punkten immer einig (keine Besoldungserhöhung und keine Steuererhöhung), fand wenig Gelegenheit in dieser ungewissen Zeit – Besatzung, Geldentwertung, Arbeitslosigkeit, Separatisten – über wichtige Gemeindeprobleme zu beraten und zu beschließen.
Es war daher ein Wunder, dass die Gemeinde 1923 es fertigbrachte, mit einem halben Hundert Arbeitsloser in einer Art freiwilligen Arbeitsdienstes der Kirche – ohne Nachprüfung einer Verpflichtung – ein neues Kleid anzuziehen.
Erst zum Ende der furchtbaren Inflation (für eine Banknote über 50 Millionen Mark konnte man noch nicht ein einziges Streichholz kaufen), nach Einführung der Reichsmark im August 1924 sowie nach Aufhebung der Grenzsperre und dem Abzug der französisch-algerischen Zollwache am Sonntag dem 14. September 1924 durfte man auf allmähliche Besserung hoffen.
Durch die Aufnahme von Darlehen konnte die Gemeinde wohl größere Pflasterarbeiten ausführen (leider mit billigem Material), aber zur Minderung der Arbeitslosigkeit musste an bessere Verkehrsmöglichkeiten gedacht werden. Pferdwagen, auch die alte Postkutsche, die 1923 mit dem Postschaffner Kern in den Ruhestand trat, genügten nicht mehr.
Da holte sich der Omnibusbesitzer von Königslöw aus Jugenheim die Genehmigung zur Errichtung einer Omnibuslinie Crumstadt – Goddelau, ohne Zuschusszahlung der Gemeinde, und am 3. Oktober 1926 bestiegen der gesamte Gemeinderat, an der Spitze der Bürgermeister, und zum Schluss die Familie von Königslöw den Omnibus zur ersten Fahret zum Bahnhof Goddelau und zurück; unter Führung von Fritz Müller, der mit seiner Frau die Linie verwaltet. Die „Crumschda Eiseboh“ spotteten einige Gäste im Hotel Clausius weil man an die Rentabilität noch nicht glaubt.
Als Dank für die Unterstützung spendete der Besitzer dem Gemeinderat eine Halbtagsfahrt, die im nächsten Frühjahr stattfand, als das Kulturbauamt der Riedentwässerung einlud. Ab Erfelden übernahm ein Kulturbeamter die Führung über Leeheim und Geinsheim zum Pumpwerk Wächterstadt am Rhein und zum Zeppelinstein.
Nach kurzer Rast in Geinsheim, wo noch einmal die ganze Arbeit des auf Betreiben des Abgeordneten Dr. Dehlinger auf Weilerhof gebildeten Astheim-Erfelder Entwäserungsverbandes durchgesprochen und die etwas verfrühten Klagen einzelner Bauern über die noch gar nicht bekannten Kosten angehört wurden, ging die Fahrt in Richtung Frankfurt, dm eigentlichen Reiseziel weiter.
Aber, um den Gemeinderat immer wieder für eine Wasserleitung zu interessieren (damals noch etwas Neues), bog man unterwegs nach Walldorf ab, wo gerade die Wasserleitung im Bau war.
Der erste Schrecken über die Wühlarbeit in den Straßen war bald überwunden, als ein ehemaliger Crumstädter (Adam Krug – Raabs Adam) aus einem Graben heraus grüsste und Crumstadt auch bald eine Wasserleitung wünschte. Das Kulturbauamt und der Walldörfer Bürgermeister gaben Auskunft über den Plan, die Kosten und die Geldbeschaffung, man bedankte sich bei den beiden Herren und verabschiedete sich, ebenso – mit einer kleinen Spende – von dem Landsmann.
Nach einer halben Stunde ging es am Frankfurter Hauptbahnhof vorbei durch die Kaiser- zur Moselstraße, wo etwas geräuschvoll ein großes Cafe betreten wurde. Man entschied sich für eine Tasse Kaffee oder einen Stengel Bier und war schnell bedient. Aber man sah ein, dass in dieser Umgebung die Wasserleitung nicht behandelt werden könne. Und als einer dem Kellner bis zum Büffet nachrief: „Ower, hetter koa Weck“ und sich aller Augen auf uns richteten, dabei zwei in der Nähe sitzende, frisch gestrichene Damen die Nase rümpften, dauerte es nur noch einige Minuten, bis alle im Omnibus saßen, der mehr nach Süden in ein erträglicheres Klima eilte. Vor der Krone in Gross-Gerau hielt er an. Schon unterwegs hatte einer, wahrscheinlich ein Kenner, von gesalzenem Brustkern gesprochen. Hier wurde man nett empfangen, und als bei gutem Wein das Thema Wasserleitung angeschnitten wurde, mischten sich auch die Stammgäste an den Nebentischen mitheiteren Einwürfen in die Unterhaltung ein und sprachen für die Wasserleitung. Und tatsächlich gab es große Portionen gesalzenen Brustkern. Aber den Erfolg brachte der gute Wein. Denn bald war die Wasserleitung für Crumstadt endgültig beschlossen, ja man verpflichtete sich, mit dem Bürgermeister von Haus zu Haus für den Anschluss zu werben.
In heiterer Stimmung fuhr man nach Hause.
Nun musste daheim noch die Scheue vor der Wasserleitung beseitigt werden. In einer Bauernversammlung rief z.B. einer dem Bürgermeister zu: „Die Wasserleitung ist nur für die Faulenzer. Ich hab heut 27 Eimer voll gebraucht“. Aber schlagfertig gab ihm ein anderer die Antwort: „Und du hast net aan Amer voll gebummt“. Die Lachsalve wurde als Zustimmung der Mehrheit angenommen.
Als 70% der Hausbesitzer für den Anschluss geworben waren, wurde das Kulturamt mit der Aufstellung eines Planes und eines Kostenvoranschlages beauftragt und die Anstalt Philippshospital gebeten, die Gemeinde mit Wasser zu beliefern. Aber die Anstalt lehnte ab. Erst auf den Einwand, dass die Anstaltsbrunnen zu nahe am Dorf liegen und einzelne Hausbrunnen schädigen würden, und die Gemeinde jetzt gezwungen sei, auf dem Sand oder vorm Busch ein eigenes Wasserwerk zu errichten, was die Anstalt schädigen könne, mischte sich die Regierung ein. In vielen Monaten wurde der Wasserlieferungsvertrag der Anstalt Philippshospital mit der Gemeinde Crumstadt in den drei Ministerien beraten, bis endlich, nach fortwährendem Drängen der Gemeinde 1929 die Arbeiten durch das Kulturbauamt ausgeschrieben und durch verschiedene Unternehmer ausgeführt werden konnten. Die Kosten wurden mit aufgenommenen Darlehen bezahlt, deren Zinsen und Tilgung größere Beträge erforderten, als zur Bezahlung des gelieferten Wassers notwendig war. Trotz der hohen Schulden war aber der Abgabepreis nach der Wasserbezugsordnung vom 10. Februar 1930 niedrig und konnte schon 1932 und 1934 um je 10% gesenkt werden.
Alle Wasserbezieher waren zufrieden, nur über den Anschluss der einzelnen Kappesländer konnte man sich noch nicht einigen, sodass dort vorerst nur eine Zapfstelle mit zwei Hahnen zur unentgeltlichen Wasserentnahme aufgestellt wurde.
Nach dem Lieferungsvertrag betrug die Mindestabnahme 40.000 m³ im Jahr. Eine Herabsetzung wenigsten für die ersten Jahre konnte die Gemeinde nicht erreichen. Sie versuchte deshalb in den nächsten Jahren immer wieder durch Verhandlung mit der Anstalt für jährlich etwa 10.000 m³ nicht geliefertes Wasser einen Nachlass zu erhalten. Der letzte Versuch war 1934 gelegentlich einer Zusammenkunft der Bürgermeister von Goddelau und Crumstadt mit dem Direktor der Anstalt. Crumstadt hatte vorgeschlagen, anschließend an das Anstaltsschlachthaus auf beiden Seiten des Sandbachs 60 Morgen Wald anzupflanzen, wozu jeder Teilhaber 20 Morgen Wiesengelände zur Verfügung stellen sollte. Crumstadt wolle zwei Stege über den Sandbach bauen.
Goddelau und die Anstalt lehnten ab.
So ging es auch beim nächsten Punkt. Die Gemeinde wollte nach Verlegung der Kaiserstrasse am Ortsausgang und Erweiterung des Friedhofs den anschließenden Acker der Anstalt erwerben, damit die Platanenallee bis zur späteren Strasse „Am Kirchweg“ durchgeführt werden könne; die Anstalt sagte: nein!
Auch war sie gegen jeden Nachlass an Wassergeld, trotz des Einwandes, dass die Gemeinde nun das nicht gebrauchte Wasser im Sommer in einen gestauten Wiesengraben laufen lassen wolle, in dem die Kinder baden könnten.
Dieser letzte Gedanke verdichtete sich immer mehr, zuerst zu einem betonierten Planschbecken und dann zu einem kleinen Schwimmbad, zu dem der Gemeinderat am 21. März 1935 seine Zustimmung gab, und das dann nach einem Plan des Inspektors Ritter vom Kulturbauamt Darmstadt vom 4. Dezember 1935 gebaut wurde.
Aber vorher mussten noch höhere Stellen gefragt, das Gelände, genau wie der neue Sportplatz, von der abgesagten Feldbereinigung freigegeben und die Geldfrage geregelt werden. Geld spielte damals noch eine Rolle, die Wasserleitungsschuld und das Darlehen für die Schul- und Rathausheizung drückten noch, und der Staat gab keinen Pfennig für solche Zwecke. Es musste daher 1935 die erste Rate erspart und die zweite 1936 im Etat vorgesehen werden. Um aber schon 1936 mit dem Bau beginnen zu können, musste die dritte und letzte Rate mit ca. 5000,- Mark sicher gestellt sein. Um jedoch kein Darlehen aufnehmen zu müssen, wodurch die Gegner des Schwimmbades noch mehr verärgert würden, eine Badeanstalt für eine kleine Gemeinde war damals etwas ganz neues, wurde mit dem Turnverein vereinbart, dass dieser im Interesse der schwimmlustigen Turner unter gewissen Bedingungen die 5000.- Mark vorerst zur Verfügung stellt. Doch wurde der Verein nicht in Anspruch genommen, weil sich verschiedene Arbeiten bis 1937 hinzogen und der Landrat 2000.- Mark beisteuerte, nachdem er an sein Versprechen erinnert worden war, das er bei einer Besichtigung eines in Oberhessen erbauten Schwimmbades gegeben hatte. „Wenn einmal ein Bürgermeister im Kreis ein Schwimmbad baut, findet er meine Unterstützung“, hatte er gesagt, aber sicher nur an die großen Gemeinden gedacht.
Schon 1936 konnte das Schwimmbad, und der neue Sportplatz, der später nach Süden erweitert werden sollte, benutzt werden. Und schon beim erstmaligen Füllen des runden Vorwärmerbeckens überzeugten mehrmals 20 Buben und Mädels, die sich unerlaubt im Wasser tummelten, von der Notwendigkeit des Bades. Auch der Arbeitsdienst, der inzwischen auf dem alten Sportplatz sein Lager aufgeschlagen hatte, half Stimmung machen.
Nach der gänzlichen Fertigstellung in 1937 verstummten die Kritiker; nicht nur Kinder, auch viele Erwachsene benutzten das Bad aus der Umgebung kamen ganze Schulklassen mit Ihren Lehrern regelmäßig, 95 oberhessische Bürgermeister erschienen eines Tages zur Besichtigung des Bades, ja selbst der Erbauer des Berliner Stadions, Professor Mach, kam zu Besuch.
Die Einweihung unterblieb, um nicht – wie anderwärts – ein Parteifest zu veranstalten.
Und die Anstalt, die die Errichtung des Schwimmbades verursachte, lieferte – umsonst – das Wasser.
Crumstadt, im Dezember 1960
gez. Christoph Heyl
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